Zusammen mit Michael Rasch ist Michael Ferber Autor des Buchs «Die heimliche Enteignung».
Gemäss Ökonomen leben wir in einer Zeit der «finanziellen Repression». Was ist darunter zu verstehen?
Michael Ferber: Ein deutliches, wenngleich auch oft wenig sichtbares Merkmal der finanziellen Repression sind negative reale Zinsen. Das heisst die Inflation ist höher als die Renditen, die sich am Kapitalmarkt erzielen lassen. Darüber hinaus gibt es jedoch zahlreiche weitere Formen der finanziellen Repression. Dazu gehören Höchstgrenzen für Zinssätze, Zwangsanleihen, Kapitalverkehrskontrollen, die direkte Kreditvergabe von Pensionskassen und Versicherungen an den Staat, Anlagerichtlinien wie Basel III oder Solvency II sowie das Verbot von Goldbesitz.
Einige dieser Formen der finanziellen Repression hat man in den vergangenen Monaten und Jahren seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise in Europa schon gesehen. So erhöhte beispielsweise die britische Finanzaufsicht im Oktober 2009 die Liquiditätsanforderung für Geschäftsbanken. Die zusätzliche Liquidität muss natürlich in Staatsanleihen gehalten werden, was ein niedrigeres Zinsniveau unterstützt. In Spanien wurden Höchstgrenzen von Zinssätzen auf gewisse Einlagen eingeführt, in Irland wurde ein nationaler Rentenfonds für die Rekapitalisierung maroder Banken umfunktioniert, und in Portugal verschob die Regierung den Pensionsfonds der privaten portugiesischen Telekom zurück zum Staat. In Ungarn zwang die Regierung sogar alle privat für die Rente vorsorgenden Bürger zurück ins staatliche Rentensystem, was dem Staat Sondereinnahmen in Milliardenhöhe – 9,5% des BIP – einbrachte.
Weshalb sind Politiker und Notenbanker besonders anfällig für diese Repressionslösung und entscheiden sich nicht für einen anderen Ausweg aus der Finanzkrise?
Notenbanker sind zum verlängerten Arm der Politiker geworden. Von Unabhängigkeit kann keine Rede mehr sein. Für Politiker ist die finanzielle Repression die einfachste Lösung der Schuldenkrise, weil die Enteignung über negative Realzinsen schleichend passiert. Die Wähler bekommen es kaum mit und somit verprellt man sie am wenigsten. Die Alternativen zur Reduktion des ausufernden Staatsdefizits wären nämlich deutliche Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen. Und da Politiker weder den Steuerzahlern noch den Empfängern von staatlichen Leistungen wehtun wollen, sind das beides keine attraktiven Lösungen für sie. Insofern ist die finanzielle Repression der Weg des geringsten Widerstandes – und der Weg zur leichtesten Wiederwahl.
Welche möglichen Auswege aus der Finanzkrise wären Ihrer Meinung nach geeigneter?
Man muss den Menschen erklären, dass in einer Welt der realen Knappheitsverhältnisse nicht jeder Wunsch erfüllbar ist. Eine Gesellschaft, die viele Leistungen vom Staat will, muss auch hohe Steuern zahlen. Der beste Weg wäre die Sanierung der Staatshaushalte und die Übernahme von Verantwortung für getroffene Entscheidungen. Dazu gehört auch, dass Aktionäre und Obligationäre von faktisch insolventen Banken die Folgen der eingegangenen Risiken tragen müssen. Dieses Prinzip ist bei der Lösung der Finanzkrise bisher viel zu wenig angewendet worden.
Die Mittelschicht leidet unter der finanziellen Repression. Können Sie uns den Vorgang der «heimlichen Enteignung» kurz erläutern?
Sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz legt die Mittelschicht typischerweise ihr Geld in niedrig verzinste Anlageprodukte wie Sparbücher, Festgeldkonten oder Anleihen an. Bei einem Zinsniveau von faktisch Null bekommen die Sparer und die künftigen Rentner kaum noch Rendite auf ihr Kapital. Da zugleich die Teuerung in vielen Volkswirtschaften relativ hoch ist, nämlich zwischen 2% bis 3%, herrschen deutliche negative Realzinsen. In Grossbritannien erreichten sie sogar zwischendurch einmal knapp 5%. Darunter leiden Sparer und künftige Rentner, die durch den Verlust an Kaufkraft heimlich enteignet werden, wohingegen Schuldner tendenziell profitieren.
Wie können sich Anleger denn vor der «heimlichen Enteignung» schützen? Welche Anlagemöglichkeiten sind für den Anleger in der heutigen Situation empfehlenswert? Von welchen Anlagemöglichkeiten ist abzuraten?
Auch in der heutigen Zeit ist es für Anleger sehr wichtig, ihr Vermögen diversifiziert zu investieren. Welche Risiken sie dabei eingehen, hängt von ihrem persönlichen Risikoprofil ab. Anleger müssen in der heutigen Zeit in Szenarien denken und die Situation auch selbst einschätzen. Erwarten sie für die kommenden Jahre steigende Inflationsraten aufgrund des immensen Gelddruckens der Zentralbanken, so sollten sie stark auf Sachwerte wie Immobilien, Edelmetalle und auch Aktien setzen. Obligationen wären dann sehr unattraktiv.
Viele Finanzexperten sprechen von einer «Anleihen-Blase», die sich nach dem dreissigjährigen Boom der Anlageklasse gebildet habe. Zwar liess sich 2012 mit Anleihen erneut Geld verdienen, doch ewig dürfte das nicht mehr weitergehen. Zudem sind die Zinsen bei Anleihen mittlerweile extrem tief, bei als «sicher» geltenden Papieren erreichen sie sogar den negativen Bereich. Nur wenn Anleger für die kommenden Jahre mit deflationären Zuständen rechnen, sind Anleihen die besseren Anlagen. Aktien und Immobilien würden in einem solchen Szenario stark an Wert verlieren.
Wenn Sie eine Prognose wagen würden – welche diesbezüglichen Entwicklungen kommen in den nächsten Jahren auf den Schweizer Anleger zu?
Die internationalen Zentralbanken, allen voran die amerikanische Federal Reserve, aber auch die Schweizerische Nationalbank, haben in den vergangenen Jahren viel Geld aus dem Nichts geschaffen. Es steht zu befürchten, dass sich dies über kurz oder lang in höheren Inflationsraten entlädt, zumal die Federal Reserve eine Politik der «Inflation um jeden Preis» zu verfolgen scheint. Wann die Inflationsraten aber steigen werden, lässt sich nicht prognostizieren.
Die Geldpolitik der Zentralbanken kommt einem noch nie dagewesenen Experiment gleich. Bleibt das Wachstum so schwach, könnten auch noch auf Sicht mehrerer Jahre deflationäre Zustände herrschen. Persönlich rechnen wir vorerst mit einem weiteren «Durchwursteln» der Politik und anhaltend niedrigem Wachstum. Dies könnte dann in eine Zeit der Stagflation – also einer wirtschaftlichen Stagnation bei gleichzeitig deutlich höheren Inflationsraten – münden.
3. Januar 2013