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Interviews

FIRE-Bewegung in der Schweiz: Mit 40 in Rente?

4. April 2020

moneyland.ch hat mit einem der führenden Schweizer Blogger der FIRE-Bewegung gesprochen. Unter dem Pseudonym «Marc Pittet» veröffentlicht er Erfahrungen, Finanz- und Spartipps auf seinem Weg zur finanziellen Unabhängigkeit.

Ihr Ziel ist es, bereits mit 40 Jahren in Rente zu gehen. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Im Jahr 2013 haben meine Frau und ich über unsere Pläne für einen Hauskauf diskutiert. Eines Sonntags schrieben wir alle Zahlen auf: Wir brauchten 140'000 Franken Eigenmittel, hatten aber mit Berücksichtigung unserer Säule 3a nur 45'000 Franken.

Ab diesem Zeitpunkt begann ich mich für Finanzthemen zu interessieren. Auch der Suche nach Sparmöglichkeiten durchforstete ich diverse Blogs und Foren. Dabei stiess ich auf Erfahrungsberichte von Personen in den USA, die bereits mit 35 bis 40 Jahren in Rente gehen. Das war für mich der Auslöser.

Seither ist es mein Ziel, dass ich mit 40 Jahren nie wieder für Geld arbeiten muss. Um frei zu sein und jeden Tag meines Lebens das zu tun, was ich wirklich möchte.

Und ist es wahrscheinlich, dass Sie Ihr Ziel erreichen?

Ich gebe es gerne zu: Das Ziel, mit 40 Jahren in Rente zu gehen, ist ehrgeizig. Aber es ist möglich. Nach unseren Berechnungen müssten wir als Familie bis dahin etwas über 2 Millionen angespart haben.

Um dieses Ziel zu erreichen, leben wir sehr bescheiden und optimieren unsere Ausgaben. Ausserdem haben wir neben unseren Jobs auch noch Nebenprojekte gestartet. Ebenfalls wichtig: Wir legen alle unsere Ersparnisse an. Je mehr Geld wir angelegt haben, desto besser wirkt der Zinseszinseffekt.

Selbst wenn Sie Ihr Ziel erreichen sollten: Wäre es Ihnen ohne Arbeit nicht langweilig?

Nach zwei Wochen Cocktails schlürfen am Strand wäre es uns langweilig. Allerdings haben wir viele Interessen, die wir verfolgen möchten: Bücher schreiben, reisen, einem Freund bei seinem humanitären Projekt helfen, meinen Blog weiterführen. Ohne sich den Kopf zerbrechen zu müssen, ob man die nächsten Rechnungen begleichen kann.

Das ist das Hauptziel der so genannten FIRE-Bewegung, der Sie angehören.

«FIRE» steht als Abkürzung für «Financial Independence, Retire Early». Also für finanzielle Unabhängigkeit und frühzeitigen Ruhestand. Die Bewegung stammt aus den USA. Als Gründungsbücher gelten die Titel «Your Money or Your Life» aus dem Jahr 1992 von Vicki Robin und «Early Retirement Extreme» aus dem Jahr 2010 von Jacob Lund Fisker. Die Bücher inspirierten verschiedene Blogs, darunter den wegweisenden Blog «Mr. Money Mustache» von Peter Adeney. Dieser inspirierte auch mich zum Titel meines Blogs «Mustachian Post». Mittlerweile gibt es allein in englischer Sprache mehr als 2250 Blogs zu Themen der FIRE-Bewegung.

Gibt es auch eine FIRE-Bewegung in der Schweiz?

Es ist in der Schweiz sicher noch ein Nischenthema. Allerdings nimmt die Zahl der Leute markant zu, die sich nicht erst im Alter von 65 Jahren pensionieren lassen möchten.
Als ich 2014 «Mustachian Post» gestartet hatte, gab es praktisch nur amerikanische Blogs zum Thema. Diese waren aber für Vorsorgethemen nicht auf Schweizer Verhältnisse direkt übertragbar.

Mittlerweile gibt es aber auch in der Schweiz neben meinem einige Blogs zum Thema. Dazu gehören «Retire In Progress», «Financial Imagineer», «The Poor Swiss» und «Road to FIRE». Das begrüsse ich sehr, da all diese Blogs einen etwas anderen Blickwinkel auf die FIRE-Bewegung werfen.

Habe kürzlich unter meinen 2500 Newsletter-Abonnenten eine Umfrage gestartet: Immerhin 100 Schweizerinnen und Schweizer geben an, dass Sie sich frühzeitig pensionieren lassen möchten. Die anderen möchten einfach Ihr Vermögen optimieren, um etwas mehr Freizeit zu haben.

Die Lebenshaltungskosten in der Schweiz sind allerdings sehr hoch. Da ist doch Ihr Ziel nur für eine reiche Minderheit realistisch.

Ich bin anderer Meinung. Ich zitiere häufig die Meinung eines Lesers, der mir erklärt hat, dass er sogar in Zürich mit 3000 Franken pro Monat über die Runden kommt. Dabei gehört Zürich zu den teuersten Städten weltweit.

Selbst wenn er also nur 4000 Franken im Monat verdient, könnte der Leser jeden Monat 1000 Franken beiseite legen. Das ist immerhin eine Sparquote von 26% und damit deutlich mehr, als der Schweizer Durchschnitt mit 5 bis 12%.

Trotzdem: Für die meisten Menschen auf der Welt sind die Ziele der FIRE-Bewegung purer Luxus.

Es stimmt zwar, dass die FIRE-Bewegung vor allem in entwickelten und reicheren Ländern entfalten kann. Wenn Sie zu wenig zu essen haben, müssen Sie natürlich vor allem ans Überleben denken.

Trotzdem: Die Einstellung und die Prinzipien der FIRE-Bewegung sind auch für ein breites Publikum nützlich. Dazu gehören die Faktoren Unternehmertum, Disziplin in Finanzfragen und laufende Weiterbildung. Natürlich ist das aber nur möglich, wenn man Zugang zu Bildung und ein sicheres Umfeld hat.

Die Ziele der FIRE-Bewegung sind durchaus nicht einfach zu erreichen, aber einfach verständlich.

Sie bloggen anonym – warum eigentlich?

Das ist eine gute Frage. Wer meinen Blog kennt, weiss, dass ich dort alle unsere Vermögensinformationen und Gehälter offenlege. Ausserdem möchten wir unsere Familie – gerade auch unsere Kinder – schützen. Ein befreundeter FIRE-Blogger in den USA hat unter seinem richtigen Namen publiziert und hat sogar Todesdrohungen erhalten. Und es gibt noch einen letzten Grund: Geld ist für einige Personen in unserem Freundeskreis und Familienumfeld ein Tabuthema. Das möchten wir respektieren.

Sie schreiben in Ihrem Blog «Mustachian Post» über Ihre finanziellen Erfahrungen in der Schweiz. Was sind die erstaunlichsten Sparmöglichkeiten, auf die Sie bisher gestossen sind?

Unabhängig vom Land sind die wichtigsten Budget-Posten die Wohnung, die Verkehrsmittel und die Lebensmittel.

Am erstaunlichsten sind dabei die wiederkehrenden Sparmöglichkeiten. Wenn Sie auch nur 100 Franken pro Monat an Krankenkassenprämien sparen, sind das in zehn Jahren bereits rund 16'580 Franken, wenn Sie das ersparte Geld zu durchschnittlich 7% pro Jahr in Aktien anlegen können.

Einige konkrete Beispiele, wie wir unser Budget optimiert haben:

  • Wir nehmen unsere Mahlzeit zur Arbeit mit, um 400 Franken im Monat zu sparen. Das ergibt Ersparnisse von 4800 Franken im Jahr.
  • Wir optimieren unsere Autoversicherung und sparen beim Auto. Das sind Ersparnisse von 2554 Franken pro Jahr. Von ursprünglich zwei Autos haben wir eines verkauft.
  • Wir haben Handy- und Internet-Abos gewechselt und sparen so unsere Gesamtrechnung von 325 Franken auf 105 Franken pro Monat reduziert.
  • Wir haben die Krankenversicherung gewechselt und die Franchise auf 2500 Franken erhöht. Das ergibt Einsparungen von 100 Franken pro Monat (wir hatten unsere Krankenkasse bereits ziemlich optimiert, sonst wären die Ersparnisse noch grösser).
  • Wir haben auf kostenlose Bankkonten und Kreditkarten gewechselt. So sparen wir pro Jahr etwa 400 Franken.

Welches sind Ihre besten Tipps für Personen, die frühzeitige finanziell unabhängig werden möchten?

Ein chinesisches Sprichwort bringt es auf den Punkt: «Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die zweitbeste Zeit ist jetzt.» Ich empfehle also einerseits einen sparsamen Lebensstil und zweitens, das Ersparte anzulegen. Der «Zauber des Zinseszinses» macht die Zeit zu Ihrem besten Verbündeten. Drittens empfehle ich Ihnen, sich kontinuierlich weiterzubilden: sowohl finanziell als auch beruflich.

Welches sind für Sie die Hauptvorteile eines FIRE-Lifestyles?

Ganz einfach: Der FIRE-Lifestyle macht uns tatsächlich glücklicher. Viele denken das Gegenteil und beim sparsamen Leben vor allem an Verzicht. Allerdings entscheiden und leben wir bewusster. Dadurch haben wir auch weniger Stress – gerade auch in Geldfragen. Durch unseren Konsumverzicht können wir uns besser auf die Dinge fokussieren, die wirklich wichtig sind. Wir verbringen zum Beispiel mehr Zeit in der Natur.

Gibt es auch Nachteile?

Der grösste Nachteil ist wohl, dass ein solcher sparsamer Lebensstil als Familie Streitgespräche auslösen kann und einen zu vielen Kompromissen zwingt. Das ist aber vor allem kurzfristig ein Problem. Längerfristig hat sich das bei uns eingespielt.

Mit der Corona-Krise kommt möglicherweise eine grössere Rezession auf uns zu. Wie sollen Anleger hier reagieren?

Aus finanzieller Sicht ergibt sich aus Sicht der FIRE-Bewegung sind solche Krisen immer auch Chancen. Längerfristig werden die Kurse wieder steigen, das heisst dass sich Investoren nach Kurseinbrüchen günstig wieder einkaufen können. Allerdings sollten Anleger nicht versuchen, den Markt aktiv zu schlagen und den besten Kaufzeitpunkt zu wählen. Niemand kennt den idealen Einstiegszeitpunkt.

Weitere Informationen:
Blog «Mustachian Post»
FIRE-Rechner für finanzielle Unabhängigkeit


Mustachian Post hat das Buch «Frei mit 40 in der Schweiz» publiziert. Hier können Sie das Buch bestellen.

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