Zur Person: Steffen Binder ist Geschäftsführer von MyPrivateBanking. Zuvor arbeitete Steffen Binder als Partner bei der Monitor Company in der Strategieberatung und war Mitgründer des Technologie-Research-Unternehmens FORIT.
Herr Binder, Sie haben die Mobile-Apps von 50 weltweit führenden Banken untersucht. Wie steht es um die Mobile-Integration der Banken im Retail- und Private-Banking-Sektor?
Insgesamt kommt die MyPrivateBanking-Studie zu dem Ergebnis, dass die mobile Revolution den Bankensektor zwar erreicht hat, aber die Entwicklung dort noch in einem sehr frühen Stadium ist. Derzeit bieten zwei Drittel der analysierten Banken nur rudimentäre Mobile-Apps an, die lediglich sehr begrenzte Funktionen und Inhalte haben. Nur eine Handvoll Banken hat ein umfassendes und nutzerfreundliches Portfolio von aufeinander abgestimmten Apps für Privatkunden. Einige globale Banken bieten auch jetzt noch überhaupt keine Mobile-Apps für Privatkunden an.
Mobile-Apps sind nicht einfach eine Spielerei, sondern gemäss Ihrer Aussage zukünftige «Game Changer». Wie kommt es, dass es trotzdem erst so wenig gute Mobile-Apps im Bankensektor gibt?
Banken sind insgesamt eher konservativ bei der Anwendung von neuen, insbesondere Internet-Technologien. Darüber hinaus kommen natürlich Bedenken im Bereich Sicherheit und Datenschutz. Doch all diese – echten oder vermeintlichen – Probleme sind lösbar. Daher erwarten wir, dass innert ein bis zwei Jahren weitere grosse Fortschritte gemacht werden.
Die Schweiz hinkt im Online- und Mobile-Sektor angelsächsischen Entwicklungsstandards oft hinterher. Gilt dies auch für die Mobile-Integration von Schweizer Banken?
Die beiden Schweizer Grossbanken liegen im Mittelfeld. Im Bereich der Privatbanken sieht es eher schwach aus. Allerdings sind auch die Amerikaner schwach aufgestellt. Führend sind ganz klar die Asiaten; so hat die Bank of China die beste einzelne Banking-App weltweit. Einige europäische Banken können mit ihrer App-Gesamtstrategie punkten.
Häufig wird die mangelnde Sicherheit von Mobile-Apps beklagt. Zu Recht?
Es gibt ein grosses zusätzliches Sicherheitsproblem bei mobilen Endgeräten. Diese können sehr leicht gestohlen werden. Wenn dann Zugangsdaten zu einer Banking-App irgendwo auf dem Smartphone gespeichert sind, wird es schnell kritisch. Dieses Problem ist aber mit einigen technischen Kniffen leicht in den Griff zu bekommen.
Vermögende Kunden im Private Banking und Wealth Management möchten in der Regel möglichst wenig Zeit in die eigene Vermögensverwaltung investieren – ein gelegentlicher Anruf an den Berater sollte genügen. Wozu braucht es für diese vermögende Kundschaft Mobile-Apps?
Vermögende Privatkunden sind zunehmend begeisterte Nutzer von Smartphones und Pads. Die Wachstumsraten dieser Technologien bei Personen über 50 Jahren sind inzwischen höher als bei jungen Nutzern. Dies führt dazu, dass gerade wohlhabende, ältere Privatkunden über eine App gerne Kontakt zu ihrem Berater aufnehmen, Research und Empfehlungen herunterladen oder gar Transaktionen durchführen. Die App in der Tasche ist viel bequemer als der PC auf dem Schreibtisch.
Wenn Sie einen Blick in die Zukunft wagen – wie weit ist die Mobile-Integration in der Bankenwelt in fünf Jahren?
Heute sehen wir nur die Anfänge der App-Revolution. Schon bald werden Bankkunden mehr Zeit mit Apps auf ihrem Smartphone oder Tablets verbringen als am PC-basierten Internet oder am Telefon. Apps sind keine Spielerei, sondern eine digitale Zeitenwende. Banken, die diese verpassen, gefährden ihre Marktposition.
Dezember 2011