Das Beratungsunternehmen Booz & Company hat im Rahmen seiner Studie «The Future of Swiss Offshore Private Banking» den Einfluss der Steuerabkommen mit Deutschland und Grossbritannien auf die grenzüberschreitende Schweizer Vermögensverwaltung analysiert und 35 Branchenexperten befragt. Die Studie kommt zum Schluss, dass in den nächsten Jahren von insgesamt 2’050 Milliarden Franken rund 47 Milliarden Franken an ausländischen Vermögen aus der Schweiz abfliessen werden, was in einem Ertragsrückgang von insgesamt mehr als 1 Milliarde Franken resultieren wird.
Herr Ammann, in der Zwischenzeit hat sich sowohl in Deutschland als auch in Grossbritannien Widerstand gegen die Steuerabkommen mit der Schweiz geregt. Überdies melden weitere europäische Länder Interesse an ähnlichen Steuerabkommen an. Kommt es bezüglich Geldabflüssen noch schlimmer als befürchtet?
Grundsätzlich schätzen wir die erwarteten Geldabflüsse für die aktuell in der Vernehmlassung befindlichen Abkommen mit Deutschland und Grossbritannien auf ungefähr 47 Milliarden Franken. Dieser Betrag setzt sich aus den zu erwartenden Geldabflüssen der Kunden vor Inkrafttreten der Abkommen sowie aus der prognostizierten Einmalzahlung zur Legalisierung der Altvermögen zusammen. Aus unserer Sicht würde eine längere Verzögerung der Vertragsunterzeichnung die Unsicherheit bei den betroffenen Kunden erhöhen. Das könnte dazu führen, dass ein noch grösserer Anteil der Kunden ihre Gelder frühzeitig abzieht. Wir schätzen, dass die gesamten Abflüsse für alle westeuropäischen Länder bei Inkrafttreten ähnlicher Abkommen bis zu 100 Milliarden Franken betragen könnten.
Allgemein wird eine starke Konsolidierung in der Schweizer Vermögensverwaltung in den nächsten Jahren erwartet. Wie sehen Sie die Entwicklung in den kommenden Jahren?
Aus unserer Sicht wird sich die bereits eingesetzte Konsolidierung in der Schweiz durch die Abgeltungssteuerabkommen und die Weissgeldstrategie des Finanzplatzes Schweiz weiter beschleunigen. Zusätzlich zum aktuellen zyklischen Abschwung durch tiefe Zinsen und niedrige Handelsvolumen kommt nun ein struktureller Ertragsrückgang von rund 1 Milliarde Franken pro Jahr als Auswirkung der Abgeltungssteuer. Die notwendigen Anpassungen in den Bereichen IT, Compliance und Operations erfordern zudem hohe Investitionen. Dies wird dazu führen, dass insbesondere kleine Institute kein nachhaltig profitables Geschäftsmodell mehr darstellen können und mittelgrosse Institute ihre Aktivitäten fokussieren müssen.
Sie gehen davon aus, dass andere Finanzplätze wie Singapur nicht vom Abfluss der Gelder aus der Schweiz profitieren werden. Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Zum einen werden Schweizer Privatbanken ihre Kunden bei der Vermögensverlagerung in andere Buchungszentren nicht unterstützen. Zudem haben andere Finanzplätze wie Singapur und auch Hongkong klar kommuniziert, dass sie nicht als alternative Booking Center für nicht-deklariertes Vermögen westeuropäischer Kunden zur Verfügung stehen.
Der wichtigste Grund für den Verbleib der überwiegenden Mehrheit der Kundengelder in der Schweiz sind aber die ureigenen Vorteile des Finanzplatzes Schweiz selbst. Selten zuvor waren die Werte der Schweiz wie politische Stabilität, stabile Währung, Servicequalität und Diskretion wichtiger als im aktuellen Marktumfeld. Wir erwarten daher, dass der Finanzplatz Schweiz seine Position als führender Offshore-Finanzplatz Europas erhalten und mittelfristig sogar ausbauen kann.
Durch den Wegfall des Steuervorteils gewinnen Faktoren wie Performance und Dienstleistungsqualität in der Schweizer Offshore-Vermögensverwaltung vermehrt an Bedeutung. Sind die Schweizer Institute Ihrer Meinung nach bezüglich dieser Faktoren bereits gut genug aufgestellt?
Es ist richtig, dass in Zukunft Performance und Dienstleistungsqualität eine deutlich grössere Bedeutung für Offshore-Kunden haben werden als in der Vergangenheit. In den Heimatmärkten der Kunden stehen Schweizer Banken dann in direkter Konkurrenz zu den jeweiligen Onshore-Banken. Um in dieser Situation zu bestehen, müssen Banken signifikant in die Überarbeitung ihrer Beratungsmodelle, in ihr Produktangebot und insbesondere in das Training und die Ausbildung ihrer Kundenberater investieren. Insbesondere gilt es, innovative und kombinierte On- und Offshore-Value-Propositions aufzubauen.
Die Zukunft der Schweizer Vermögensverwaltung sieht auf den ersten Blick nicht rosig aus. Mit welchen Massnahmen müssen die Schweizer Institute auf die schwierigen neuen Herausforderungen reagieren?
Für den Finanzplatz Schweiz und die Schweizer Vermögensverwalter ergeben sich langfristig grosse Wachstumschancen im Geschäft mit Kunden aus Westeuropa. Um diese Möglichkeiten effektiv nutzen zu können, müssen die Schweizer Banken ihr Geschäftsmodell nachhaltig anpassen:
Erstens müssen sich die Banken viel stärker als in der Vergangenheit differenzieren, ihr individuelles «right to win» definieren und sich entsprechend im Markt positionieren. Dazu gehört unter anderem eine Fokussierung auf bestimmte, klar abgegrenzte Kundensegmente.
Zweitens müssen sich Banken aus Marktsicht deutlich stärker als bisher auf einige wenige Zielmärkte konzentrieren, in denen eine ausreichende Grösse erreicht und ein nachhaltiges Geschäftsmodell dargestellt werden kann. Dies wird bei einigen Banken möglicherweise auch eine Anpassung der Auslandsstandorte zur Folge haben.
Drittens müssen die Banken aus Kundensicht vor allem an einer Verbesserung ihres Beratungsmodells arbeiten, insbesondere an attraktiven On- und Offshore-Value-Propositions für ihre Kunden aus Westeuropa. Dies beinhaltet eine weitere Optimierung des Produkt- und Service-Angebots, insbesondere die Bereitstellung von landesspezifischen Produkten, die auch die steuerliche Situation der Kunden in den einzelnen Märkten optimal berücksichtigen.
Dezember 2011