Informationstechnologien haben die Bankenwelt stark beeinflusst: Welches waren Ihrer Meinung nach in der Vergangenheit die grössten IT-Errungenschaften im Bankwesen?
Richard Dratva: Die Innovationszyklen im Technologiebereich haben sich enorm beschleunigt. Im Bankensektor hat auch der Kunde davon profitiert. In vielen Fällen gelangte die Technologie aber leider nur mit einem Medienbruch bis zum Endkunden – die Technologiefortschritte waren vor allem für die Bankmitarbeitenden gedacht.
Wichtige Errungenschaften waren sicherlich die Einführung des computergestützten Kontoauszugs, die Erfindung der Geldausgabegeräte und die Einführung des Internet-Banking. Doch gerade in den letzten Jahren waren die Banken in der Schweiz mit Innovationen etwas zurückhaltender. Die Einführung von Mobile-Banking hat sich allerdings als Notwendigkeit durchgesetzt.
Informationstechnologien werden die Bankenwelt weiterhin stark beeinflussen: Welches sind die markantesten technologischen Änderungen, die auf die Banken in den nächsten Jahren zukommen?
Das Interessante ist, dass die neuen Technologien zuerst in die Hände der Kunden gelegt werden und diese nun die Banken damit beeinflussen. Parallel einher geht damit ein verändertes Verhalten, das die an das Internet gewöhnten Kunden anderswo – etwa im Rahmen des Online-Einkaufs von Elektronik, Büchern oder Reisen – erlernt haben. Die Kunden haben gelernt, dass sie wichtig sind, dass man sie umwirbt und dass sie im Mittelpunkt der Bemühungen stehen. Bei vielen Banken beschränkt sich die Interaktion mit dem Kunden im digitalen Kanal immer noch auf das Erfassen von Transaktionen und das Entgegennehmen von standardisierten Informationen.
Im Gegensatz zu anderen Branchen taten sich die Banken bisher schwer mit neuen kundenzentrierten Technologien. Was bereitet den Banken so grosse Schwierigkeiten im Übergang zum Banking 2.0?
Während man sich etwa in den angelsächsischen oder nordischen Ländern weniger schwer tut, hinkt die Schweizer Bankenwelt hinterher, obwohl hier die höchste iPhone-Dichte der Welt anzutreffen ist. An den Kunden dürfte es deshalb wohl nicht liegen. Vielmehr dürften folgende drei Gründe für das Hintertreffen verantwortlich sein:
Erstens wollen die Schweizer Banken mit einem erweiterten digitalen Angebot – das insbesondere auch Beratungsleistungen beinhalten kann – das etablierte Filialnetz nicht schwächen.
Zweitens hat die Schweiz viele universell tätige Banken. Deshalb soll auch das Online-Angebot universell sein. Mit diesem gesamtheitlichen Ansatz kommt man viel schwieriger vorwärts als beispielsweise in den USA, wo selbst kleinste innovative Leistungsnischen offenbar genügend hergeben, um finanziert und ausprobiert zu werden. Den Erfolg müssen die amerikanischen Finanz-Startups aber natürlich zuerst noch beweisen.
Drittens beschäftigt sich die Schweizer Bankenwelt mit Grundsatzfragen wie Steuern, Regulierung, Back-Office-Outsourcing, Eigenkapitalquoten und so weiter. Schweizer Banken haben noch nicht bemerkt, dass sie die Technologieentwicklung bei ihren Kunden ebenfalls vor eine Grundsatzfrage stellt – oder diese Frage wird noch in den Hintergrund gedrängt.
Auch die Kundengewinnung übers Internet ist – zumindest bei Schweizer Banken – noch kaum entwickelt. Wird sich das Ihrer Meinung nach in den nächsten Jahren ändern?
Da tut sich in anderen Ländern bereits sehr viel. Einer unserer Direktbank-Kunden in Deutschland gewinnt bereits 50 Prozent seiner Neukunden dank Leads von Online-Vermittlungsplattformen. Auf diesen Zug sind nun auch in der Schweiz einige neue Anbieter aufgesprungen und versuchen, sich als Vermittler für Hypotheken, Sparangebote, Kreditkarten oder Vermögensverwaltung zu etablieren.
Die Banken selber, die viel über ihre Kunden wissen, können vor allem im Up- und Cross-Selling sehr viel erreichen. Sie müssen dazu in keiner Weise innovativ sein, sondern lediglich gut hinschauen, was in anderen Branchen im Web und in der proaktiven Online-Kundenbetreuung in den letzten Jahren passiert ist.
Auch im «Personal Finance Management» sind eine Reihe neuer Software-Anbieter am Start. Werden hier die Banken gegen externe unabhängige Anbieter wie Mint bestehen können?
Es gibt trotz Amazon und Ebookers immer noch Bücherläden und Reisebüros in der Schweiz, das heisst es hat Platz für die «alten» Anbieter, wenn sie es gut machen und ihr Geschäftsmodell anpassen. Aber die Marktstrukturen haben sich in diesen Branchen massiv verändert, und untätige Anbieter sind verschwunden. Es wird zukünftig ein neues Gleichgewicht zwischen unabhängigen Finanzanbietern und Banken geben. Erste Verschiebungen werden wir sicher schon in diesem Jahr sehen.
Ein weiterer Trend ist die so genannte Gamification der Online-Welt. Wie kann das ernste Bankgeschäft von Spielen profitieren?
Bei der Gamification geht es ja nicht einfach nur ums Spielen selbst, sondern auch darum, die Spiellust im Menschen zu wecken. Dies kann man auch im Banking umsetzen – in der gebührenden Dosis, und ohne die Ernsthaftigkeit der eigenen Finanzen in Frage zu stellen.
Ein einfaches Beispiel aus einer anderen Branche ist zum Beispiel eBalance. Dasselbe Prinzip lässt sich auf Finanzfragen übertragen: Wenn ich mir in einem unterhaltsam gestalteten Online-Tool ein Sparziel gesetzt habe und dieses dann – nicht zuletzt dank entsprechenden Online-Aufmunterungen meiner Bank oder meiner Kollegen – wirklich auch erreiche, so bekomme ich dafür eine Auszeichnung. Da ich stolz darauf bin, kommuniziere ich dies dann meinen Kollegen über die entsprechenden Social-Media-Kanäle.
Somit erhalte ich ein lustvolles und positives Banking-Erlebnis, das ich auch nicht unbedingt ganz ernst nehmen muss. Meine Bank profitiert davon, dass ich für sie bei meinen Kollegen Empfehlungswerbung gemacht habe. Ist das nicht besser, als am Monatsende jeweils auf einen lusttötenden Kontoauszug zu starren und ihn dann abzulegen?
11. Februar 2013