roland kraus
Interviews

Private Geldanlage: «In Demografie-Gewinner investieren»

Roland Klaus ist freier Journalist, Analyst und aktiver Investor. Er berichtete unter anderem für CNBC, N24 und n-tv als Börsenreporter und ist Autor des Buches «Wirtschaftliche Selbstverteidigung».

Das Interview basiert auf dem Beitrag «Demografische Herausforderungen für die private Geldanlage» von Roland Klaus im Sammelband «Finanzdienstleister der nächsten Generation».

Die demografische Situation in Europa führt zu einer Vielzahl von Herausforderungen. Welches sind die drängendsten?

Roland Klaus: Ich vergleiche die demografischen Veränderungen gerne mit den tektonischen Verschiebungen der Erdplatten: Sie gehen für uns unmerklich vor sich, haben aber auf lange Sicht massive Auswirkungen. Europa ist ein alternder Kontinent – mit Deutschland an der Spitze. Wir liegen bei der Geburtenrate seit Jahrzehnten ganz weit hinten. Jede Frau bekommt im Schnitt 1,4 Kinder, nur zwei Drittel dessen, was nötig wäre, um die Bevölkerungszahl konstant zu halten. Daran haben auch sämtliche Förderprogramme und Anreize der Politik nichts ändern können.

Und weil die geburtenstarken Jahrgänge demnächst beginnen, in Rente zu gehen, wird sich das Verhältnis von Beitragszahlern und Beitragsempfängern in den sozialen Sicherungssystemen dramatisch verändern. Schon heute werden 45 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes in Deutschland dazu verwendet, um die Löcher bei den gesetzlichen Krankenversicherungen und bei der Rentenversicherung zu stopfen. Und das, obwohl der eigentliche demografische Schwung noch kommt.

Daraus kann man nur schliessen, dass die Sicherungssysteme schon bald ausgezehrt sein werden und der Staat finanzielle Probleme bekommen wird. Das sollten auch all jene bedenken, die Deutschland als den starken Mann in Europa sehen, der alle Krisenländer mit links retten kann.

Wie kann der Einzelne auf diese Entwicklungen reagieren?

Eigentlich ist das oberste Gebot für jeden von uns, sich frühzeitig unabhängig von den Leistungen des Staates zu machen und seine persönliche Vorsorge zu betreiben. Leider wird auch das durch die demografischen Entwicklungen nicht gerade vereinfacht. Denn sie beeinflussen auch die Finanzmärkte massiv.

Wie wirken sich die demografischen Entwicklungen auf Anlageklassen wie Sparzinsen und Anleihen aus?

Die private Geldanlage – zumindest die meisten Formen davon – leidet darunter, dass die Zinsen für vergleichsweise sichere und kalkulierbare Anlagen deutlich gefallen sind. Es gibt zwar keine empirischen Beweise für diese These, aber die Annahme liegt nahe, dass dies unter anderem auf demografische Faktoren zurückzuführen ist. Der Transmissionsmechanismus lautet: Schrumpfende Bevölkerung gleich weniger Konsum gleich weniger Wirtschaftswachstum gleich weniger Investitionen gleich weniger Kreditnachfrage. Je weniger Kredite nachgefragt werden, desto geringer ist das Zinsniveau.

Dazu kommt, dass eine zunehmend alternde Bevölkerung ihr Geld eher anlegt als es auszugeben und dabei eher nach konservativen, also festverzinslichen Anlagen sucht. Auch dies drückt den Zins für solche Anlagen.

Gibt es Beispiele nicht-europäischer Länder mit vergleichbaren Entwicklungen?

Die Blaupause für das, was uns in demografischer Sicht in vielen Bereichen erwartet, ist Japan. Die Spitzen der Geburtenzahlen, die sogenannten Babyboomer-Jahrgänge, lagen in Japan rund zehn Jahre vor jenen in Europa und den USA. Demnach ist uns Japan auch in etwa diesen Zeitraum im Schrumpfungs- und Alterungsprozess voraus. Die Zinsen in Japan sind seit etwa Mitte der 90er-Jahre auf einem extrem niedrigen Niveau. Der Aktienmarkt hat 1990 sein Hoch erreicht.

Vergleichen Sie dies mit den Entwicklungen an den Finanzmärkten in Europa und den USA, so werden sie feststellen, dass hier ein Vorlauf besteht, der in etwa dem demografischen «Vorsprung» entspricht. Unterstellt man, dass dieser Zusammenhang richtig ist, dann spricht wenig dafür, dass die Zinsen, die stabile Schuldner in Europa in den nächsten Jahren zu bezahlen haben, deutlich steigen.

Denn in Japan liegen die Zinsen auch derzeit in der Nähe der Null-Linie. Zwar ist je nach Entwicklung der Inflation durchaus ein nominaler Anstieg des Zinsniveaus denkbar. Doch die demografischen Sachverhalte ebenso wie das Beispiel Japan zeigen uns, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass der für die Altersvorsorge wichtige Realzins sehr niedrig bleiben wird. Vieles spricht sogar für einen negativen Realzins, erst recht nach Betrachtung von Steuern.

In einem solchen Umfeld ist ein Vermögensaufbau mit festverzinslichen Geldanlagen kaum möglich. Dies gilt nicht nur für die klassische festverzinsliche Geldanlage mit Sparbuch, Tagesgeld und Anleihen. Es gilt auch und vor allem für Lebensversicherungen. Diese sind zwar auf den ersten Blick keine festverzinsliche Anlage. Schaut man jedoch unter die Motorhaube der Versicherer, so findet man dort zuweilen 80 Prozent und mehr Anleihen und andere Zinspapiere. Auch diese Anlageform wird also in Zukunft keine auskömmliche Sparform sein, zumal sie häufig mit hohen Kosten belastet ist.

Was bedeuten diese demografischen Entwicklungen für die Anlageklasse der Immobilien?

Schon heute gibt es in Deutschland eine erhebliche Spreizung zwischen guten und schlechten Lagen. Ich erwarte, dass diese Schere sich aufgrund der demografischen Entwicklung weiter öffnen wird. In einem Umfeld schrumpfender Bevölkerungszahlen wird es auch in Deutschland immer mehr Landstriche geben, in denen Immobilien schwer verkäuflich und nahezu unvermietbar sein werden. Daher wird die Frage nach der richtigen Lage an Bedeutung gewinnen. Das heisst nicht unbedingt, dass es unbedingt die Penthouse-Wohnung im angesagtesten Viertel einer Grossstadt sein muss, zumal dort die Preise in den vergangenen Jahren bereits deutlich angezogen haben.

Wichtig ist stattdessen, sich sehr intensiv mit den Zukunftschancen jenes konkreten Ortes zu beschäftigen, an dem Sie entweder bereits eine Immobilie besitzen oder einen Kauf erwägen. Besorgen Sie sich Informationen über die demografischen Prognosen für ihren Standort. Diese gibt es beispielsweise im Fall von Deutschland bei den Statistischen Landesämtern.

Strukturschwache Regionen, die heute bereits unter Abwanderung leiden, werden sich in den nächsten Jahrzehnten zu wahren Wohnwüsten entwickeln. Immobilien in wachsenden und strukturstarken Regionen haben dagegen gute Chancen, ihren Wert nicht nur zu bewahren, sondern sogar zu erhöhen.

Neben der Lage einer Immobilie sollte man darauf achten, dass eine Immobilie auch in ihrem Zuschnitt den demografischen Veränderungen gerecht wird. Also keine Wohnung im fünften Stock eines Altbaus ohne Aufzug kaufen. Und auch das klassische Reihenhaus wird in Zukunft tendenziell immer weniger Interessenten finden.

Wie steht es mit dem Aktienmarkt?

Es gibt zwei demografische Faktoren, die für den Aktienmarkt wichtig sind.

Erstens sinkt durch die Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung der Konsum und damit das Umsatz- und Gewinnpotenzial vieler Unternehmen. Die Untersuchungen von Harry Dent zeigen recht anschaulich, dass die Aktienmärkte stark mit diesem Konsumpotenzial korrelieren. Hier steht uns bis Mitte des nächsten Jahrzehnts ein deutlicher Rückgang bevor – und zwar sowohl in den USA als auch in Europa.

Der andere Faktor ist, dass eine alternde Bevölkerung weniger in Aktienmärkte investiert. Dadurch könnten die Bewertungen der Aktienmärkte zusammenschmelzen. Hierzu gibt es sehr interessante Untersuchungen der amerikanischen Notenbank, die ich in meinem Buch aufzeige. Sie besagen, dass das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis am US-Aktienmarkt bis 2025 um mehr als 40 Prozent sinken könnte – demografisch bedingt.

Was empfehlen Sie Anlegern als Antwort auf die demografischen Herausforderungen?

Die wichtigste Empfehlung ist, die riesigen Umwälzungen, die uns die Demografie in den kommenden Jahren bescheren wird, im Hinterkopf zu haben. Es gibt keinen Grund, die eigene Geldanlage von heute auf morgen auf den Kopf zu stellen. Aber es gibt viele gute Gründe, die Demografie zu berücksichtigen und sich auf die Veränderungen einzustellen. Schliesslich ist ja nicht alles negativ, was da auf uns zukommt. Denn wo Gefahren sind, sind immer auch Chancen. In diesem Fall bestehen sie vor allem darin, in die Gewinner der Demografie zu investieren.

Sie empfehlen Staaten mit «intakten Demografien» als Anlageziele. Welche gehören dazu?

Das sind in erster Linie die Schwellenländer, in denen die Bevölkerung noch jung ist und weiter wächst. Das ist ein ganz wichtiger Bestandteil für Wirtschaftswachstum und damit für Wertsteigerungen in verschiedenen Anlageklassen. Aber Vorsicht: Nicht alles, was uns als Emerging Markets verkauft wird, hat auch eine intakte Demografie. Zwei der vier Ländern, die unter dem Akronym BRIC – also Brasilien, Russland, Indien und China – bekannt geworden sind, haben keine gute Ausgangsposition: In Russland altert die Bevölkerung sogar noch schneller als in Deutschland und China wird schon sehr bald die Folgen seiner jahrelangen Ein-Kind-Politik zu spüren bekommen.

Für interessanter halte ich da die Länder Süd- und Mittelamerikas sowie Südostasiens. Dort ist die Demografie in der Regel gesund und dort dürfte auch ein langfristiges Investment, beispielsweise über einen guten Aktienfonds, erfolgreich sein.

Gibt es auch in Europa «Gewinner der Demografie»?

Man muss nicht unbedingt in die Ferne schweifen, um von der Demografie zu profitieren. Genauso interessant sind jene Unternehmen aus den Industrieländern, die als Marktführer so gut aufgestellt sind, dass sie vom Wachstum in den Schwellenländern profitieren. Da gibt es auch in Deutschland einige davon, und interessanterweise sind deren Kurse zuletzt fast alle besser gelaufen als der Gesamtmarkt. Schauen Sie sich beispielsweise Henkel, Linde, BASF oder Adidas an.

10. Dezember 2012

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