Moneyland-Redaktion: Herr Thurnherr, Sie beurteilen weltweit Vorsorgesysteme mit Ihren jährlich erhobenen Melbourne Mercer Global Pension Index. Welches sind Ihre Bewertungskriterien?
Willi Thurnherr: Für den Melbourne Mercer Global Pension Index wird jedes Land in den drei Bereichen Leistungen, Finanzierung und Rahmenbedingungen bewertet.
«Leistungen» untersucht die Vorsorgeleistungen und wichtige Gestaltungsmerkmale, wie zum Beispiel das Leistungsniveau, steuerliche Anreize, die Ausgestaltung der beruflichen Vorsorge 2. Säule und die Sparquote.
Im Bereich «Finanzierung» wird geprüft, ob das gegenwärtige System in Zukunft aufrechterhalten werden kann. Hier spielen unter anderem die Rückdeckung, Finanzierung, Demografie, Staatsverschuldung und flexible Arbeitszeitmodelle für ältere Arbeitnehmer eine Rolle.
«Rahmenbedingungen» schliesslich konzentriert sich auf die betriebliche Vorsorge und untersucht, wie «vertrauenswürdig» und beständig das Vorsorgesystem ist. Hier spielen staatliche Aufsicht, Governance, Risikosteuerung und Kommunikation eine entscheidende Rolle für die Beurteilung.
Wie erheben Sie Ihre Kriterien?
Die Bewertung der einzelnen Kriterien basiert - soweit möglich - auf unabhängigen internationalen Daten, zum Beispiel aus den OECD-Reports zu den Vorsorgesystemen.
Wo keine Daten verfügbar sind, haben Mercer-Experten in den jeweiligen Ländern eine Reihe von Fragen beantwortet, die eine objektive Vergleichbarkeit herstellen. Insgesamt wurde jedes Vorsorgesystem anhand von mehr als 50 Indikatoren bewertet.
Welches sind weltweit die führenden Vorsorgesysteme? Was zeichnet diese aus?
Auf den ersten Plätzen unseres Rankings befinden sich Dänemark, Australien und die Niederlande. Das dänische System verfügt über eine solide Finanzierung und bietet gute Leistungen auf Basis eines hohen Vermögens- und Beitragsniveaus. Ausserdem ist das private Vorsorgesystem gut reguliert.
Auch Australien verfügt über eine vergleichsweise hohes Leistungsniveau. In den Niederlanden sind vor allem die Governance-Regeln auf einem hohen Standard.
Die Schweiz erreicht dieses Jahr Platz 5 von 25. Wie ist das Resultat zu bewerten?
Global ist das Resultat sehr positiv. In Europa liegt die Schweiz an vierter Stelle, knapp hinter Finnland und knapp vor Schweden. Wir stellen fest, dass sich die Vorsorgesysteme in Europa verbessert haben. Es braucht deshalb von der Schweiz Anstrengungen, um ihren Rang zu behalten oder gar zu verbessern.
Was macht die Schweiz noch weniger gut als die bestplatzierten Länder?
Die Rentenbezugsdauer, das heisst die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Pensionierung, liegt vergleichsweise hoch. Deshalb ist eine Erhöhung des Pensionierungsalters eine prüfenswerte Systemverbesserung.
Empfehlenswert wäre auch eine Pflicht, die Auszahlung eines Teils der Altersleistung in Rentenform vorzunehmen oder eine steuerliche Besserstellung des Rentenbezugs gegenüber der Kapitalleistung.
Wenn Sie eine Prognose wagen würden: wo steht das Schweizer Vorsorgesystem im internationalen Vergleich in fünf Jahren?
Falls die aktuell angedachten Reformen – Stichwort: Altersvorsorge 2020 – an die Hand genommen werden, erwarten wir, dass die Spitzenposition im internationalen Vergleich gehalten werden kann. Andernfalls erwarten wir ein Absinken.
Moneyland-Redaktion, 22. Oktober 2014