Das «Reglement über Eigengeschäfte mit Finanzinstrumenten der Mitglieder des Erweiterten Direktoriums» der Schweizerischen Nationalbank (SNB) vom 16. April 2010 ist verschiedentlich als zu wenig streng beurteilt worden – teilen Sie diese Meinung?
Prof. Karl Hofstetter: In der Tat ist das Reglement aus heutiger Sicht zu wenig streng. Beispielsweise ist eine sechsmonatige Haltefrist der Finanzinstrumente zu kurz und keine eigentliche «passive Verwaltung».
Im Nachhinein ist man natürlich immer klüger – allerdings hätte man auch vor der SNB-Affäre bereits vorsichtiger sein können. Die Entscheidungsträger der Nationalbank haben mit ihren Zinsentscheiden nicht nur einen erheblichen Einfluss auf die Fremdwährungskurse, sondern auch auf Wertschriften wie Aktien.
Das SNB-Direktorium hätte somit zumindest in der Theorie eine Vielzahl von Möglichkeiten, mit gezielten Anlagen von seinem Sonderwissen zu profitieren. Es wäre sinnvoll gewesen, mit einem restriktiveren Reglement von Anfang an nur schon dem Anschein entgegen zu treten, dass so etwas passieren könnte.
Auch bei vielen anderen Notenbanken sind die Verhaltensregeln bezüglich der Anlagerichtlinien für führende Mitglieder erstaunlich allgemein gehalten. Wie ist das zu erklären?
Das erstaunt mich auch. Hier gibt es verschiedene Erklärungsmöglichkeiten. Vielleicht hat man die Möglichkeit von konkreten Interessenkonflikten bei verschiedenen Notenbanken einfach nicht genug ernst genommen. Oder man hat im Rahmen eines als selbstverständlich erachteten Vertrauensverhältnisses mit der Zurückhaltung und dem Fingerspitzengefühl der Führungsmitglieder gerechnet.
Im Übrigen scheinen mir strenge spezifische Regelungen vor allem für Mitglieder mit einem grossen Vermögen nötig. Da rechtfertigt sich zum Beispiel die Einrichtung eines «Blind Trust». Bei kleineren Vermögen fallen dagegen weniger Anlageentscheide an; hier könnte eine entsprechend transparent gemachte passive Vermögensverwaltung – wie sie beispielsweise Fed-Chairman Ben Bernanke zu pflegen scheint – bereits genügen.
Vor allem drei Vorschläge sind zur Zeit im Gespräch: Eine transparente Offenlegung der Vermögensanlagen der betroffenen SNB-Mitglieder, eine externe Vermögensverwaltung oder ein blindes Treuhandvermögen (Blind Trust). Welches ist Ihrer Meinung nach der geeignetste Lösungsvorschlag?
Eine Offenlegung kann bereits hilfreich sein. Dabei gibt es einerseits die Variante einer Offenlegung gegenüber einer Aufsichtsbehörde und andererseits die Möglichkeit der Publikation. Die Publikation käme vor allem für besonders exponierte Personen in Frage. Einen Schritt weiter geht die Bewilligungspflicht für besonders heikle Vermögensanlagen. Dafür müssten aber die bewilligungspflichtigen Transaktionen definiert werden, was eventuell kompliziert sein könnte.
Eine nächste Möglichkeit wäre das klassische Vermögensverwaltungsmandat, bei dem man die Anlageentscheide grundsätzlich in die Hände des Vermögensverwalters legt. Ein Nachteil dabei wäre, dass der Auftraggeber – also zum Beispiel das SNB-Direktionsmitglied – immer noch das Recht hätte, zu intervenieren oder das Verhältnis gar aufzukündigen. Somit könnte «Insiderwissen» weiterhin zum Tragen kommen. Der glaubwürdigste Schutzmechanismus wäre deshalb das Konstrukt des Blind Trust, also eines dem Einfluss des Auftraggebers ganz entzogenen Treuhandvermögens.
Blind Trusts gibt es in der Schweiz zwar nicht, könnten aber in ähnlicher Weise vertraglich nachgebildet werden. Die Treugeber würden vom Treuhänder regelmässig – zum Beispiel viertel- oder halbjährlich – über das Anlageresultat, nicht aber über die einzelnen Vermögensanlagen informiert. Der SNB-Treugeber könnte sich zusätzlich gegenüber dem Bankrat verpflichten, dass er den Blind Trust nicht ohne spezielle Bewilligung aufkündigen darf.
Für welche SNB-Mitglieder wären Blind Trusts zu implementieren?
Für Direktoriumsmitglieder mit einem grösseren Vermögen ist ein Blind Trust auf jeden Fall zu empfehlen. Bei kleineren Vermögen, beispielsweise solchen unter einer Million Franken, könnte über eine blosse Offenlegung der Vermögenswerte und Transaktionen gegenüber dem Bankrat diskutiert werden. Der Bankrat könnte zudem darüber entscheiden, welche der zur Auswahl stehenden Vermögensverwaltungsformen er verlangt. Eine Offenlegung der Vermögenswerte wäre eventuell zusätzlich zu koppeln an die Forderung einer passiven Anlagestrategie gemäss definierten Kriterien – für abweichende aktive Transaktionen müsste der Bankrat eine Bewilligung erteilen.
Kürzlich gab der Blind Trust von US-Präsidentschaftsanwärter Mitt Romney zu reden, der einen ihm nahestehenden Anwalt als Treuhänder verpflichtet hat. Darf der Treugeber den Treuhänder selbst auswählen?
Der Treugeber darf den Treuhänder selbst auswählen, das ist legitim. Der Treuhänder muss aber unabhängig vom Treugeber sein – ein enges familiäres oder freundschaftliches Verhältnis wäre unglaubwürdig. Der Treuhänder sollte somit ein unabhängiger Dritter sein, wobei der Bankrat die konkrete Treuhänderschaft absegnen müsste. Für Banken und Vermögensverwalter gäbe es die Möglichkeit, eine schweizerische Variante des Blind Trust als neues Dienstleistungsangebot aufzunehmen.
Januar 2012