Flash-Crash

Am 6. Mai 2010 kam es an der Wall Street zu einem unvorhergesehenen Kurseinbruch des amerikanischen Leitindex S&P 500 und des Dow Jones Industrial Average, der innerhalb von Minuten um 1000 Punkte abstürzte. Manche Aktien verloren kurzfristig bis über 90 Prozent ihres Werts. Der Absturz war allerdings nur von kurzer Dauer: Einige Minuten später schossen die Kurse bereits wieder in die Höhe.

Finanzexperten bezeichnen einen solchen extremen Kursabfall eines Aktienmarkts innerhalb aussergewöhnlich kurzer Zeit als Flash-Crash. Das Phänomen ist relativ neu. Kleinere Flash-Crashes werden als «Mini-Flash-Crashes» umschrieben.

Häufig wird der Kurssturz vom 6. Mai 2010 als erster Flash-Crash bezeichnet. Ein weiteres als «Flash Crash» bezeichnetes Vorkommnis ist der Kurssturz am 23. April 2013. Der «Blitz-Crash» wurde durch einen gefälschten Tweet eines gehackten Twitter-Accounts der Presseagentur «Associated Press» ausgelöst und schickte den Dow Jones Industrial Average kurzfristig um 130 Punkte in die Tiefe.

Auf einem regulierten Aktienmarkt kommt der Aktienindex durch eine definierte Anzahl der grössten und umsatzstärksten Unternehmen und ihrer Aktienkurse zustande. Angebot und Nachfrage bestimmen den Kurs der Wertpapiere und somit auch den Index. In einer stabilen Wirtschaftslage gibt es für gewöhnlich keine plötzlichen Änderungen des allgemeinen Angebots und der Nachfrage. Der Aktienindex bleibt stabil.

Bei einem Börsen-Crash gerät das vermeintlich stabile System aus den Fugen – grössere Kurseinbrüche sind die Folge. Börsen-Crashes gab es bereits in der Vergangenheit. Berühmt ist der 24. Oktober 1929, als es zu einem Zusammenbruch des amerikanischen Aktienmarkts kam. In den folgenden sechs Tagen stürzten die Kurse um die Hälfte ein. Der entsprechende Tag ist auch als Schwarzer Donnerstag bekannt, der die damalige Weltwirtschaftskrise mit auslöste.

Im Unterschied zu «herkömmlichen» Börsen-Crashes zeichnen sich Flash-Crashes durch eine markant höhere Geschwindigkeit und Vehemenz aus. Bis anhin pendelten sich die Aktienkurse bei einem Flash-Crash auch kurze Zeit später – zum Teil innerhalb des gleichen Tages – wieder auf dem vorgängigen Kursniveau ein.

Im Unterschied zu vergangenen Kurseinbrüchen reagieren heute die Märkte um ein Vielfaches schneller auf marktrelevante Geschehnisse. Mitschuldig sind einerseits neue digitale Kommunikationsformen, die börsenrelevante News in Bruchteilen von Sekunden um den Globus verbreiten. Andererseits läuft heutzutage ein Grossteil des Handels automatisiert ab – im Rahmen des so genannten Algo Tradings oder Hochfrequenzhandels.

Nach dem Flash-Crash am 6. Mai 2010 rätselten viele US-Händler und Behörden, wie es zu einem solchen rapiden Kursabfall und -anstieg kommen konnte. Unstrittig war, dass der automatisierte Hochfrequenz-Handel eine notwendige Bedingung für das Debakel war. Doch wer oder was war der Auslöser?

Die Fahnder kamen erst erstaunliche fünf Jahre später dem Flash-Crash-Auslöser auf die Spur: Ein Aktienhändler aus London hatte auf computergesteuertem Weg automatische Aktienkäufe in Milliardenhöhe ausgelöst, die er sofort wieder stornierte.

Durch die hohe Frequenz wurde die sechsfache Menge an Wertpapieren im Vergleich zu einem durchschnittlichen Handelstag in Umlauf gebracht. In Zahlen: 1.3 Milliarden Aktien waren innerhalb von nur zehn Minuten auf dem Markt, was den Aktienmarkt kurzfristig ans Limit brachte. Mit den Stornierungen provozierte der manipulierende Händler zahlreiche Verkäufe seitens anderer Anleger. Ziel war es, vom folgenden Kursabfall zu profitieren.

Inzwischen haben die US-Finanzaufsichten und die Börsenaufsicht striktere Regelungen für den Hochfrequenzhandel definiert, um solche Manipulationen wo möglich zu verhindern. Allerdings sind die Börsen noch lange nicht gefeit gegen erneute Flash Crashes. Die Technologie entwickelt sich rasant weiter. Entsprechend gross ist das Potenzial an neuen Missbrauchsmöglichkeiten.

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Experte Benjamin Manz
Benjamin Manz ist Geschäftsführer von moneyland.ch und unabhängiger Experte für Banken- und Finanzthemen.