Mercer hat im Rahmen einer Analyse über 5000 Investmentstrategien aus verschiedenen Weltregionen und Anlageklassen bezüglich ihrer Nachhaltigkeit untersucht. Ausschlaggebend waren dabei die so genannten ESG-Faktoren, welche die Investments bezüglich ihrer ökologischen, sozialen und Corporate-Governance-Aspekte bewerten. Resultat: Erst 9 Prozent der Investmentstrategien erreichen ein überzeugendes Nachhaltigkeits-Rating.
Nach welcher Methodik haben Sie die ESG-Faktoren überprüft?
Christian Bodmer: Mercer betreibt seit vielen Jahren die systematische und laufende Analyse von Investmentstrategien für institutionelle Investoren. Die Mercer-Analyse deckt mittlerweile mehr als 22’000 institutionelle Investmentstrategien ab, von denen die aussichtsreichsten auch ein eigenes Mercer-Rating erhalten. Bereits vor einigen Jahren wurde die Methodik explizit um ESG-Kriterien erweitert. Dabei werden vier wesentliche Bereiche zur Beurteilung der zukünftigen Leistungsfähigkeit begutachtet: Ideengenerierung, Portfolio-Konstruktion, Implementierung und Unternehmensführung des Asset-Managers.
Können Sie die vier Bereiche näher erläutern?
Bei der Ideengenerierung ist entscheidend, welche Datenquellen für ESG-spezifische Eigenschaften der Investitionsobjekte wie Aktien verwendet werden und welche ESG-Expertise der Investment-Manager hat, diese zu beurteilen und in seine Kauf- und Verkaufsempfehlungen zu integrieren.
Um die ESG-getriebenen Ideen und Prognosen im Portfolio abzubilden, kommt es zudem darauf an, die Sicherheit und die Wirkungsdauer dieser Prognosen adäquat einzuschätzen und über alle Portfolio-Bestände hinweg in richtig dimensionierte aktive Positionen abzubilden.
In der Implementierung wird unter anderem geprüft, ob die Haltedauer von Einzeltiteln für die Realisierung von Wertbeiträgen aus ESG-Faktoren geeignet ist und wie die Ausübung von Stimmrechten zur Zielerreichung genutzt wird.
Für den Bereich der Unternehmensführung schliesslich begutachtet Mercer, inwieweit ESG-Elemente als integrale Bestandteile der gesamten Geschäftspolitik und des Führungsverhaltens einfliessen und welches Mass an Aufmerksamkeit und Zeitaufwand ihnen zufällt.
Die Anlageklasse Private Equity hat mit 25 Prozent proportional am meisten Top-Ratings erreicht, die Klasse der Hedge Funds gerade einmal 2,4 Prozent. Wie ist diese Diskrepanz zu erklären?
Dieses Resultat ist darauf zurückzuführen, dass viele Investmentstrategien mit spezifischer Ausrichtung auf ESG-Kriterien im Bereich Cleantech und erneuerbare Energien zu finden sind, wo Beteiligungsstrukturen dominieren.
Geografisch kommen die meisten nachhaltigen Investmentstrategien aus dem asiatisch-pazifischen Raum. Am schlechtesten steht mit Abstand Kanada da. Wir erklären Sie sich solche regionalen Unterschiede?
Im Hinblick auf die regionale Verteilung sehe ich eine mögliche Erklärung darin, dass die genannten nachhaltigen Strategien in Cleantech und erneuerbaren Energien zur Zeit überwiegend aus Asien und Australien kommen. Ansonsten neige ich nicht dazu, dieser Evidenz eine hohe Bedeutung zuzuschreiben.
Nachhaltigkeit ist auch im Anlagegeschäft ein grosses Thema – trotzdem erreichen nur 9 Prozent der Anlagestrategien ein Top-Rating. Sind die Finanzdienstleister im Bereich Nachhaltigkeit zu wenig aktiv?
Eigentlich unternehmen Finanzdienstleister bereits heute eine ganze Menge. Es wird viel Energie und Kreativität auf die Entwicklung und Markterprobung vielfältiger Investment-Angebote verwendet. Es ist aber ein Markt, der noch uneinheitlich ist und wenige Standards kennt. Häufig geht ein langer Findungsprozess voraus, bis ein Investment-Anbieter seinen Investment-Ansatz und sein Unternehmen nach ESG-Kriterien ausgerichtet hat.
Auf der anderen Seite stehen die Investoren – Mercer hat vor allem die institutionellen Anleger im Fokus – die vielfach den Zugang zum Thema Nachhaltigkeit noch nicht gefunden haben. Es besteht also eine Diskrepanz zwischen dem Reifegrad des Angebots und der Nachfrage.
Wo sehen Sie die nächsten grossen Entwicklungen im Bereich Nachhaltigkeit in den verschiedenen Anlageklassen?
Die wichtigsten Entwicklungen werden Mainstreaming – also die Integration von ESG-Faktoren in traditionelle Investmentprozesse – und die Annäherung von Angebot und Nachfrage sein. Letzteres wird dadurch ermöglicht werden, dass die Investoren zunehmend Klarheit über ihre gewünschte Positionierung bezüglich ESG-Kriterien finden.
Erwarten Sie in den nächsten Jahren insgesamt eine Zunahme an nachhaltigen Investmentstrategien?
Zunehmen wird aus Mercer-Sicht sowohl die Anzahl von Investmentstrategien mit expliziter primärer Ausrichtung auf ESG-Kriterien als auch die Anzahl an Strategien, die ESG-Kriterien in ihren traditionellen Investmentprozess integrieren.
Februar 2012