Verschiedene Schweizer Banken haben in letzter Zeit die Schwellen für Negativzinsen gesenkt. Zwar sind Kleinsparer in der Regel noch nicht betroffen. Bei den meisten Banken trifft es nur ganz wenige Kunden. So teilt die Luzerner Kantonalbank gegenüber moneyland.ch mit, dass 99 Prozent der Kunden keine Negativzinsen zahlen müssen.
Trotzdem schliessen Schweizer Banken nicht aus, dass in Zukunft auch auf kleineren Sparbeträgen Negativzinsen möglich sind. Doch weshalb gibt es überhaupt Negativzinsen für Bankkunden? moneyland.ch hat recherchiert.
Erste Erklärung: Negativzins-Abgaben an die SNB
Häufig liest man als Rechtfertigung für Negativzinsen für Bankkunden, dass die Banken der Schweizerischen Nationalbank (SNB) hohe Summen für Negativzinsen auf ihren Girokonten bei der SNB abliefern müssen. Doch wie hoch sind die Beträge?
Die SNB hat moneyland.ch die Zahlen zur Verfügung gestellt. Einnahmen der SNB durch Negativzinsen auf Girokontoguthaben:
2015: 1164 Mio. Franken (rund 11 Monate)
2016: 1523 Mio. Franken
2017: 2021 Mio. Franken
2018: 2048 Mio. Franken
2019: 1938 Mio. Franken
2020: 1378 Mio. Franken
2021: 359 Mio. Franken (1. Quartal)
Wie man sieht, zahlten Schweizer Banken der SNB im Jahr 2018 am meisten Negativzinsen. Seit 2019 sind die Zahlen rückläufig. Der Grund: Die Nationalbank hat die Freibeträge für Negativzinsen erhöht. 2021 werden ähnliche Zahlen erwartet wie 2020.
Ausserdem variiert es je nach Bank, wie stark diese von Negativzinsen betroffen sind. Die ZKB zum Beispiel gehört zu den Banken, die verhältnismässig hohe Negativzins-Beträge an die SNB abliefern müssen. 2020 betrugen diese Abgaben 73.2 Millionen Franken.
Viele Banken sind hingegen kaum oder gar nicht von den direkten Abgaben an die SNB betroffen. Manche profitieren sogar von diesem Umstand und verdienen an Negativzinsen im Rahmen von Interbanken-Geschäften. Sie bieten anderen Banken an, Gelder zu einem geringeren Negativzinssatz anzulegen, als die betroffenen Banken bei der SNB zahlen müssten.
Interessant sind die tiefen Zahlen der PostFinance. Sie fasst die Negativzinsen an die SNB und andere Banken als «Negativzinsen auf Aktivgeschäften» zusammen. Negativzinsen auf Aktivgeschäften der PostFinance:
2016: 24 Millionen Franken
2017: 6 Millionen Franken
2018: 16 Millionen Franken
2019: 5 Millionen Franken
2020: 2 Millionen Franken
2020 musste die PostFinance also weniger als 2 Millionen Franken an Negativzinsen an die SNB zahlen.
Erstes Fazit: Die Negativzins-Abgaben an die SNB sind seit 2018 rückläufig. Sie können den Anstieg der Negativzinsen für Bankkunden also nicht erklären.
Zweite Erklärung: Negativzins-Umfeld
Manche Schweizer Banken gestehen zu, dass die direkten Abgaben an die SNB nicht der entscheidende Faktor für Negativzinsen gegenüber Privatkunden sind. Relevant sei vielmehr das allgemeine Negativzins-Umfeld. So teilt die Credit Suisse auf Anfrage von moneyland.ch mit: «Der Zins ist generell ein Marktpreis und hängt von vielen Faktoren ab, nicht nur vom Negativzins der SNB.» Das Negativzinsumfeld beeinflusse die Profitabilität der Bank.
Die Luzerner Kantonalbank teilt mit: «Der Druck, negative Passivzinsen zu verrechnen, entsteht aktuell zu einem wesentlichen Teil durch den intensiven Wettbewerb bei den Kreditkonditionen. Je länger das Negativzinsumfeld andauert, desto grösser wird der Handlungsbedarf der Banken, weil der Anteil der vor 2015 abgeschlossenen Festhypotheken abnimmt. Wenn die Banken Passivzinssätze von 0 Prozent oder höher anwenden wollen, so sind sie de facto zur Quersubventionierung gezwungen.»
Die UBS-Ökonomen argumentieren wie folgt: «Als die Negativzinsen 2015 eingeführt wurden, gingen die Banken davon aus, dass es sich nur um eine kurzzeitige Episode handeln würde. Das war einer der Gründe, wieso keine Negativzinsen erhoben wurden, obschon die Geldmarktzinsen tief negativ wurden. Bis zur Corona-Rezession hielt man an dieser Hoffnung fest. Mit der Rezession wurde dann aber klar, dass sich die Negativzinspolitik noch über Jahre hinziehen wird. Das dürfte der Grund sein, wieso man bei den Cash-Guthaben die Zinsen an die Realitäten des Geldmarktes angepasst hat.»
Trotzdem: Ein Blick auf die Geschäftsberichte zeigt, dass viele Schweizer Banken in der Negativzins-Phase seit 2015 ihre Gewinne sogar noch gesteigert haben. So ist es zum Beispiel bei den Schweizer Kantonalbanken: Diese sind schwerpunktmässig im Zinsgeschäft tätig, das im Durchschnitt aller Kantonalbanken rund 60 Prozent aller Erträge ausmacht. Während die kumulierten Jahresgewinne aller Kantonalbanken im Jahr 2014 noch 2.5 Milliarden Franken betrugen, waren es 2018 2.9 Milliarden, 2019 3.2 Milliarden und 2020 noch 3.1 Milliarden Franken.
Die Negativzinsen auf Passivgeschäften – wozu neben Einnahmen der Negativzinsen aus dem Interbanken-Geschäft auch Negativzinsen von Firmen- und Privatkunden gehören – beträgt nur einen Bruchteil der Gewinne der Kantonalbanken. Die genauen Einnahmen durch Negativzinsen an Privatkunden sind nicht bekannt, dürften aber im Vergleich zu den Gewinnen bei den meisten Kantonalbanken vernachlässigbar klein sein.
Das heisst: Die Kantonalbanken sind bis anhin nicht auf die Verrechnung von Negativzinsen an Privatkunden angewiesen. Sie würden auch ohne Negativzinsen an Privatkunden immer noch solide Erträge erwirtschaften. Das gilt auch für die Mehrheit der übrigen Schweizer Banken.
Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel: So ist beispielsweise die PostFinance im Vergleich zu vielen anderen Schweizer Banken stärker vom Negativzins-Umfeld betroffen, da sie keine Hypotheken und Kredite auf die eigenen Bücher nehmen darf. Die PostFinance betreibt also kein klassisches Zinsdifferenzgeschäft.
Zweites Fazit: Das Negativzinsumfeld hat einen Einfluss auf die Negativzinsen an Bankkunden. Allerdings ist es bei vielen Banken noch keine hinreichende Erklärung für zunehmende Negativzinsen an Privatkunden.
Dritte Erklärung: Anreiz für lukrativere Bankprodukte
Für viele Schweizer Banken ist das Zinsdifferenzgeschäft – und in diesem Rahmen vor allem das Hypothekargeschäft – weiterhin wichtig oder sogar zentral. So teilt zum Beispiel die Bank Cler mit, dass das Hypothekargeschäft ein Kerngeschäft der Bank ist und dieses auch in Zukunft sein wird.
Allerdings möchten die Schweizer Banken mehrheitlich unabhängiger vom Zinsgeschäft werden und setzen deshalb vermehrt auf das Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft. Besonders im Fokus steht dabei das Vermögensverwaltungs- und Anlageberatungsgeschäft, in dem sich noch stabile Erträge erwirtschaften lassen.
So richtet die Glarner Kantonalbank ihre Strategie gemäss eigener Aussage seit Jahren darauf aus, diese Abhängigkeit reduzieren zu können – wie auch die Migros Bank und die Berner Kantonalbank. Valiant teilt gegenüber moneyland.ch mit, dass sie bis 2024 das Anlage- und Vorsorgegeschäft ausbaut. Für Raiffeisen gehört der Ausbau des Vorsorge- und Anlagegeschäfts sogar zu den «Prioritäten der Gruppenstrategie».
Reine Sparkunden sind für die Banken nicht lukrativ: Gutes Geld wird aber mit aktiven Kunden verdient, die viele Fremdwährungstransaktionen durchführen, oft traden oder eine Vermögensverwaltung nutzen. Zum Leidwesen der Banken sind Schweizer Bankkunden allerdings für ihre hohe Sparquote bekannt.
Folgerichtig versuchen Banken, Sparkunden von aktiveren Bankprodukten zu überzeugen. Im aktuellen Zinsumfeld sind Negativzinsen ein neues Instrument, um weitere Kunden zu einer Anlageberatung oder Vermögensverwaltung zu motivieren. Denn Kunden, die ihre Gelder vom Sparkonto oder Privatkonto in eine Anlagelösung umschichten, sind nicht von Negativzinsen betroffen.
Wenn die Banken nun die Schwellen für Negativzinsen senken, steigt der Anreiz für Bankkunden, in eine Anlagelösung zu investieren, um den Negativzinsen auszuweichen.
Am deutlichsten sieht man die Entwicklung bei der PostFinance: Dort steigt der Schwellenwert für Negativzinsen, wenn Privatkunden mehr Geld in Anlagelösungen investieren. Aber auch andere Banken nutzen die zunehmenden Negativzinsen als Mittel, um Kunden von lukrativeren Anlageprodukten zu überzeugen.
Tatsächlich können Anlagelösungen für Kunden je nach Situation die bessere Lösung als Sparkonten sein. Für Privatkunden ist aber wichtig zu wissen, dass Sie nicht einfach ohne Vorabklärung das erstbeste Anlageangebot annehmen sollten. Es gibt zahlreiche Angebote von Schweizer Banken. Ein vorgängiger Vergleich ist deshalb unbedingt zu empfehlen.
Drittes Fazit: Viele Schweizer Banken könnten zurzeit noch auf Negativzinsen für Privatkunden verzichten. Allerdings werden Negativzinsen als Argument genutzt, um Kunden von Anlagelösungen und anderen rentableren Bankdienstleistungen zu überzeugen.
Weitere Informationen:
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