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10 klassische Börsenweisheiten im Faktencheck

28. September 2024 - Raphael Knecht

Von «fallenden Messern» bis zum «Verkauf im Mai»: Was steckt hinter klassischen Börsenweisheiten? Der Online-Vergleichsdienst moneyland.ch macht den Faktencheck.

Ist der Trend wirklich mein Freund? Warum macht Hin und Her die Taschen leer? Und was haben Schlaftabletten mit Aktienhandel zu tun? Hier stellen wir Ihnen zehn der gängigsten Börsenweisheiten vor: was sie bedeuten und wie viel Wahrheit hinter den Sprüchen steckt. Schweizer Anlage-Experten geben ihre Einschätzung zu den verschiedenen Sprüchen.

1. «Kaufe, wenn die Kanonen donnern, verkaufe, wenn die Violinen spielen»

Das bedeutet der Spruch: Schlechte Nachrichten können Aktienkurse und ganze Branchen ins Minus reissen («Kanonen donnern»). Haben Anlegerinnen und Anleger grundsätzlich weiterhin Vertrauen in betroffene Firmen oder Indizes, lohnt es sich, dann zum Aktionspreis einzukaufen. Und umgekehrt: Wenn man aussteigen möchte, empfiehlt sich ein Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen von guten Nachrichten umgeben ist («Violinen spielen»). Das steigert die Nachfrage und damit den Preis.

Das ist dran: Das Sprichwort trifft besonders auf die breiten Indizes zu. Ein Paradebeispiel ist der Coronavirus-Crash im Frühling 2020: Die Aktienmärkte begannen bereits im April des gleichen Jahres wieder zu klettern, obwohl die weltweite Stimmung noch am Boden war.

Hermann J. Stern, Sekretär der Anlageberatungsfirma Obermatt, sagt zu moneyland.ch, er richte sich zwar nach dieser Devise. Er kaufe aber nur bei schlechten Nachrichten, wenn sie seiner Meinung nach gar nicht so schlimm sind, wie sie dargestellt werden.

2. «Der Trend ist dein Freund»

Das bedeutet der Spruch: Hat man erst einmal einen Trend erkannt, ist es einfacher, diesen auszunutzen, als einen neuen Trend vorherzusagen. Die gängige Interpretation des Spruchs ist, dass man Gewinne laufen lassen sollte. Wenn der Kurs wochenlang nach oben ging, sind die Chancen gut, dass er morgen erneut nach oben geht. Wer Vertrauen in den Trend hat, kann zudem durch Volatilität verursachte Kursverluste besser verkraften.

Das ist dran: Bei Trends ist zwischen Megatrends, die die Entwicklung der Wirtschaft langfristig beeinflussen (etwa die Überalterung der Gesellschaft) und zyklischen Trends (beispielsweise eine Rohstoff-Rallye) zu unterscheiden. Megatrends können laut Matthias Geissbühler, Investment-Chef bei Raiffeisen Schweiz, für langfristiges Wachstum sorgen – davon können betroffene Unternehmen profitieren. «Kurzfristige Trends sind oft sehr rasch wieder vorüber und für den Retail-Kunden oder Kleinanleger fast nicht profitabel zu spielen.»

Stern von Obermatt gibt zu bedenken, dass der Trend nicht nur Freund, sondern auch Feind sein kann: «Feind ist er, wenn er sich ändert oder wenn er zu populär ist.» Die Gefahr beim Vertrauen in Trends ist, dass Investoren eine Trendumkehr lediglich als Kursschwankung interpretieren könnten. Beim Platzen der Tech-Blase 2000/2001 wurde vielen Anlegerinnen und Anlegern zum Verhängnis, dass sie nach ersten Korrekturphasen wieder zugekauft haben.

3. «Versuche nicht, ein fallendes Messer zu fangen»

Das bedeutet der Spruch: Die Börsenweisheit ist eigentlich die Kehrseite von «Der Trend ist dein Freund». Das fallende Messer steht hier für eine Aktie, deren Kurs schnell nach unten geht. Theoretisch könnte man viel Profit erwirtschaften, wenn man im richtigen Moment – nämlich direkt vor der Trendumkehr – in die Aktie investiert. Doch das damit verbundene Risiko ist gross: Die Aktie könnte noch weiter fallen. Darum sollte man besser nicht direkt nach einem Kurssturz zugreifen.

Das ist dran: Wenn der Kurs eines Titels beispielsweise unmittelbar nach schlechten News fällt, ist das oft lediglich der Beginn einer Korrektur. Wenn Analysten den Titel danach runterstufen und die Medien über die negativen Entwicklungen weiter berichten, bleibt die Wertschrift unter Druck. «Man sollte also eine Stabilisierung abwarten und erst zuschlagen, wenn der Verkaufsdruck nachlässt», sagt Geissbühler.

Langfristige Investoren, die eine Aktie sehr gut kennen, können es sich allerdings durchaus erlauben, «fallende Messer» zu fangen. So können Anleger von Panikverkäufen und Übertreibungen profitieren. Solche Investoren werden manchmal auch Contrarians genannt.

4. «Investiere nie in ein Geschäft, das du nicht verstehst»

Das bedeutet der Spruch: Wer sein Geld in eine Firma steckt, sollte auch wissen, was das Unternehmen tut, wie es Geld verdienen will, und wie es um die Branche steht. Darum ist es umso riskanter, blind auf ein Geschäft zu setzen, das man nicht versteht. Börsianer dürften dieser Faustregel besonderen Respekt zollen, weil sie von Star-Investor Warren Buffett stammt.

Das ist dran: «Diesen Spruch würde ich jedem Anleger sehr ans Herz legen – er zeigt den Unterschied zwischen Investieren und Spekulieren», sagt Geissbühler zu moneyland.ch. Da Investoren einer Firma Eigenkapital zur Verfügung stellen, sollten sie das nur tun, wenn sie auch von deren Produkten oder Dienstleistungen begeistert sind und das Unternehmen gut kennen.

Der Nachteil ist, dass Investoren nach dieser Faustregel die eine oder andere Chance verpassen. Buffett selbst hat beispielsweise nicht früh in Tech-Aktien wie Amazon und Google investiert – weil er nicht verstand, wie die Unternehmen Geld verdienen konnten.

5. «Hin und Her macht Taschen leer»

Das bedeutet der Spruch: Um Transaktionsgebühren zu vermeiden, sollten Anleger ihre Investitionen langfristig halten, statt regelmässig zu verkaufen. Wer oft kauft und verkauft, läuft zudem eher Gefahr, dass das Timing schlecht ist. Das muss zwar nicht immer heissen, dass Investoren Geld verlieren. Aber wer beispielsweise zu früh verkauft, verpasst weitere Gewinne.

Das ist dran: Stern von Obermatt findet die Börsenweisheit «sehr gut». Für Schweizer Anleger trifft der Spruch eher zu als beispielsweise für Trader in den USA – dort gibt es teils deutlich günstigere Börsenplattformen. Kosten können aber auch beim Währungsumtausch, in Form von Ausgabe- und Rücknahmekommissionen für Fonds sowie wegen des Bid-Ask-Spreads entstehen.

«Die direkten Transaktionskosten können Sie stark reduzieren, wenn Sie über günstige Broker investieren», so Benjamin Manz, Geschäftsführer von moneyland.ch. Der Vergleich von moneyland.ch zeigt, welche Gebühren im Schweizer Börsenhandel anfallen.

6. «Kaufe das Gerücht, verkaufe die Tatsache»

Das bedeutet der Spruch: Stehen etwa eine grosse Produktlancierung oder die Präsentation von wichtigen Geschäftszahlen bevor, reagieren Anleger oft schon, bevor es so weit ist: Sie investieren vermehrt in ein Unternehmen, ohne die genauen Details zu kennen. Sind die Tatsachen dann erst mal auf dem Tisch, verfliegt das Interesse hingegen schnell. Oft hört die Kursrallye auf, sobald das Produkt lanciert ist oder die Geschäftszahlen öffentlich sind – selbst wenn die Neuigkeiten eigentlich gut sind.

Das ist dran: In der Regel nehmen Aktienkurse die Erwartungen vorweg. Der Weltaktienindex etwa war nach dem Coronavirus-Crash Ende 2020 bereits wieder im Plus, obwohl die Realwirtschaft erst mit der Erholung von der Krise begann. Auch der Schweizer Börsenindex SMI war Ende 2020 im Jahresvergleich leicht im Plus. Die hohen Kurse spiegeln also erwartete Entwicklungen wider – weiteres Kurswachstum ist somit nur zu erwarten, wenn es zusätzliche positive Überraschungen gibt.

Das Phänomen ist auch für Schweizer Anleger relevant, sagt Geissbühler von Raiffeisen: «Gerade bei Gewinnpublikationen reicht es oft nicht, die Erwartungen zu erfüllen. Die Unternehmen müssen sie übertreffen, um die Aktienkurse weiter nach oben zu bewegen.»

7. «Lege nicht alle Eier in einen Korb»

Das bedeutet der Spruch: Wenn eine Person viele zerbrechliche Gegenstände im gleichen Korb trägt, riskiert sie den Totalverlust, sollte sie den Korb aus Versehen fallen lassen. Auch wer sich auf eine einzelne Wertschrift konzentriert, nimmt ein grosses Risiko auf sich. Darum ist es besser, auf ein grosses Portfolio mit breit gestreuten Anlagen zu setzen. Dann ist die Investorin oder der Investor nicht von der Performance eines einzelnen Anlagetitels abhängig. Diese breite Streuung wird Diversifikation genannt.

Das ist dran: Praktisch alle Analysten empfehlen die Diversifikation. Am besten geht das mit Fonds oder ETF. Ein sehr einseitiges Portfolio würde Geissbühler den «absoluten Profis» überlassen, die sich morgens bis abends mit dem Marktgeschehen beschäftigen.

Stern von Obermatt formuliert dazu gleich noch eine eigene Börsenweisheit: «Vermögen werden mit Konzentration geschaffen und mit Diversifikation erhalten.» Eine breite Streuung der Anlagen hilft demnach zwar, das Vermögen gegen Risiken abzusichern. Wer hingegen ein Vermögen aufbauen will, muss bereit sein, ein gewisses Risiko auf sich zu nehmen.

8. «Kaufen Sie Aktien und nehmen Sie Schlaftabletten»

Das bedeutet der Spruch: Das Auf und Ab an der Börse kann Anlegern schlaflose Nächte bereiten. Schriftsteller und Investor André Kostolany empfiehlt darum, Aktien zu kaufen und sich dann erst mal nicht weiter mit der Kursentwicklung zu beschäftigen. Das soll Investoren davor schützen, impulsiv zu verkaufen und so Gewinne zu verpassen. Solange die Börse weiterhin nach oben tendiert, könne man mit dieser Mentalität langfristig reich werden.

Das ist dran: «Wer langfristig Geld anlegen kann und will, ist mit diesem Ratschlag gut bedient», sagt Geissbühler. Gerade in diesem Fall sei die Diversifikation besonders wichtig. Er empfiehlt, beispielsweise in ETF, den MSCI World Index oder den SPI zu investieren: «So nimmt man am langfristigen, globalen Wirtschaftswachstum teil – ohne die unternehmensspezifischen Risiken.»

Der historische Vergleich von moneyland.ch zeigt, dass sich beispielsweise das langfristige Investieren in Schweizer Aktien in den vergangenen Jahrzehnten gelohnt hat. Allerdings war die inflationsbereinigte Aktienperformance in rund einem Drittel aller Jahre seit 1926 negativ. Darum ist die langfristige Perspektive sehr wichtig, sagt Manz von moneyland.ch: «Im schlimmsten Fall kann es auch einmal länger als zehn Jahre dauern, bis Sie wieder aus der Verlustzone herauskommen.»

9. «Einer Strassenbahn und einer Aktie darf man nie nachlaufen»

Das bedeutet der Spruch: Wer den richtigen Einstiegszeitpunkt verpasst hat, sollte nicht darauf bestehen, die Investition trotzdem zu tätigen. Die nächste Gelegenheit wird bestimmt kommen – genauso wie der nächste Bus beziehungsweise die nächste Strassenbahn. Wer genügend Geduld hat, kann auch später noch einsteigen. Diese Aussage stammt übrigens ebenfalls von André Kostolany.

Das ist dran: Korrekturen kommen immer wieder – sei es wegen Kursrücksetzern, oder weil die Volatilität zunimmt. Anlegerinnen und Anleger dürfen allerdings nicht erwarten, dass sich in jedem Fall eine gleich günstige Gelegenheit bieten wird. Zum Beispiel: Die Apple-Aktie schwankte in den vergangenen Jahren stark. Sie fiel aber nie auf das Niveau von vor 15 Jahren zurück.

Wer den Anschluss verpasst hat, aber nicht warten möchte, kann stattdessen gestaffelt einsteigen. Wenn Sie beispielsweise jeden Monat einen bestimmten Betrag anlegen, vermindern Sie gegenüber einer einmaligen Investition das Risiko, zu einem besonders hohen Kurs einzusteigen.

10. «Verkaufe im Mai»

Das bedeutet der Spruch: Anleger sollen ihre Aktienbestände im Mai verkaufen und ihr Geld erst im Herbst wieder am Kapitalmarkt investieren. Der Spruch basiert auf einer Anomalie: Die Chancen auf Kursanstiege sind im Winter oft grösser als im Sommer. Historische Daten bestätigen diesen Effekt. Im Englischen reimt die Börsenweisheit sogar: «Sell in May and go away, but remember to come back in September» (zu Deutsch: «Verkaufe im Mai und gehe weg, aber denk dran, im September zurückzukommen»).

Das ist dran: Anlage-Experte Stern bezeichnet diesen Spruch als «Blödsinn». Die Kosten für einen jährlichen Rückzug von der Börse sind in der Regel zu hoch, als dass sich das lohnen würde. Dazu kommt, dass die Sommermonate auch bei schwächerer Performance nicht unbedingt im Minus sind. Der SPI stieg in den vergangenen zehn Jahren von Oktober bis April im Schnitt um die 5 Prozent. Vom Mai bis im September resultierte aber immer noch ein leichtes Plus von durchschnittlich rund 2 Prozent. Bei einem Verkauf hätte man diese Wertsteigerung verpasst.

Manche grössere Fonds und Investoren verkaufen Teile ihrer Anlagen jedoch trotzdem unter bestimmten Umständen zu Beginn des Sommers – allerdings nur, wenn die Jahresgewinne bis im Mai schon sehr hoch gewesen sind. Das geschehe aber nie mit dem gesamten Vermögen, betont Geissbühler.

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Redaktor Raphael Knecht
Raphael Knecht war bis Ende Februar 2023 Analyst und Fachredaktor bei moneyland.ch. Seither unterstützt er die Redaktion gelegentlich als Freelancer.
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